Der Bulldog legt einen Zahn zu

In dieser Success Story geht es um eine praxisnahe Anwendung der FVA-Workbench. Unser FE-Experte Dr. Georg Hammerl nutzte sie, um bei der Restauration eines historischen Lanz Bulldogs eine Getriebeübersetzung zu optimieren.

Generationenprojekt: Von der Scheune zurück auf die Straße

Auf dem Hof der Familie Hammerl im Norden Münchens stand seit über 60 Jahren unbewegt ein Lanz Bulldog von 1940, ein Glühkopftraktor mit uriger Mechanik und unverwechselbarem Klang. Dieses Stück Familiengeschichte war über Generationen erhalten geblieben – gekauft vom Urgroßvater, genutzt vom Großvater und nie verkauft, obwohl es immer wieder Interessenten gab.

Der Plan, den Bulldog wieder fahrtüchtig zu machen, bestand schon lange. Schließlich kam es zur Restauration in einer Fachwerkstatt, die sich auf Lanz-Traktoren spezialisiert hat. Dort wurde das Fahrzeug bis zur letzten Schraube zerlegt, überholt und fit für weitere Jahrzehnte gemacht – inklusive moderner Sicherheitsfeatures wie Fußbremse und TÜV-tauglicher Elektrik.

Zustand vor der Restauration sowie das zerlegte Getriebe

Das Getriebe im Fokus

Besonderes Augenmerk lag auf dem Getriebe, denn die Originalübersetzung erlaubte lediglich eine Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h. Schon in den 1940er-Jahren wurde dieses Manko erkannt und durch eine Gruppenschaltung verbessert, die 17 km/h möglich machte. Doch selbst das war für heutige Straßenfahrten kaum praktikabel. Es stellte sich also die Frage: Kann man das Getriebe so anpassen, dass der Bulldog eine zeitgemäße, aber mechanisch realisierbare Reisegeschwindigkeit erreicht? Genau hier kam die FVA-Workbench ins Spiel.

Virtueller Zwilling in der FVA-Workbench

Mithilfe historischer Konstruktionszeichnungen [1] und Messschieber waren die Maße schnell ermittelt und das Getriebe konnte in der FVA-Workbench modelliert werden.

Im 2D-Modeler der FVA-Workbench kann eine Zeichnung als Hintergrundbild eingeblendet werden. Dadurch lassen sich Wellen zügig modellieren und die zugehörigen Komponenten schnell und präzise positionieren.

Ziel war es, eine Zahnpaarung für die schnelle Gruppe zu finden, die bei gleichem Achsabstand die Originalverzahnung ersetzen kann. Der Stufenvariator in der FVA-Workbench ist das perfekte Tool für diese Aufgabe. In wenigen Sekunden konnten hunderte Varianten der Verzahnung berechnet werden, die die Anforderungen erfüllen. Eine Variante mit einer um 20% größeren Übersetzung hat sich als guter Kompromiss erwiesen.

Der Stufenvariator ermöglicht eine schnelle und übersichtliche Optimierung von Stirnradstufen hinsichtlich Tragfähigkeit, Wirkungsgrad und Gewicht. Durch die Definition von Parameterbereichen lassen sich in kurzer Zeit tausende Varianten berechnen, filtern und auswerten.

Die gewählte Stirnradstufe kann eine Leistung von über 60 kW übertragen, obwohl der Bulldog-Motor lediglich rund 15 kW leistet. Auch die Sicherheiten für Zahnflanke und Zahnfuß liegen weit über dem, was man heute als konservativ einstufen würde – ein klares Zeichen für die enorme Robustheit der damaligen Konstruktion.

Endlich schnell?

Mittlerweile hat sich die Entscheidung für die geänderte Übersetzung als sehr vorteilhaft erwiesen, da die etwas größere Luftbereifung und die angepasste Abstufung nun Ausfahrten mit einer angenehmen Reisegeschwindigkeit von 32 km/h ermöglichen. Auch wenn das Anheizprozedere des Glühkopfmotors mit seinen zehn Minuten Vorheizen weiterhin Geduld erfordert, entschädigt der unverwechselbare Klang des Lanz Bulldogs mit seinem sonoren Bollern bei jeder Fahrt.

Ein bisschen Over-Engineering am Oldtimergetriebe

Die FVA-Workbench erlaubt deutlich weitergehende Verbesserungen, so wurde die optimierte Stufe zusätzlich mit einer Zahnkopfrücknahme von 6 µm am Ritzel versehen. Das Ergebnis:

  • die Flanken- und Fußsicherheiten steigen

  • die maximale Hertzsche Pressung sinkt signifikant

  • der Drehwegfehler und damit die potenzielle Geräuschanregung verringern sich um ca. 2 μm

Für den 85 Jahre alten Bulldog ist das natürlich akademisch – an seinem typischen Bollern wird sich dadurch nichts ändern. Doch das Beispiel zeigt anschaulich, wie Flankenkorrekturen in der Praxis wirken. Unsere Kunden setzen in ihren aktuellen Getrieben diese Optimierungen gezielt ein, um Laufkultur, Wirkungsgrad und Lebensdauer weiter zu steigern.

Referenzen

[1] E. Heinl, „Lanz Glühkopf-Bulldogs: Eine Anleitung zur Instandsetzung”, Verlag Klaus Rabe

Dr.-Ing. Georg Hammerl

Softwareentwickler & FEM-Experte, FVA GmbH

Dr.-Ing. Georg Hammerl ist Softwareentwickler und FEM-Experte mit langjähriger Erfahrung in der numerischen Simulation und der Getriebeberechnung. Seit 2017 arbeitet er bei der FVA GmbH an der Weiterentwicklung der FVA-Workbench mit. Sein Schwerpunkt liegt auf der technischen Modellierung und Simulation mechanischer Systeme, insbesondere der Integration der FEM-Funktionalitäten, welche in den verschiedenen Projekten der FVA entwickelt wird. Nach dem Maschinenwesen-Studium an der TU München promovierte er am Lehrstuhl für Numerische Mechanik der TU München im Bereich Mehrphasenströmungen. Dort entwickelte er Simulationswerkzeuge zur Untersuchung von Partikel-Fluid-Strömungen und Fluid-Struktur-Interaktion.

Weiter
Weiter

FVA-Workbench: Die Grundlage für digitale Zwillinge