Vorteile örtlicher Tragfähigkeitsansätze gegenüber genormten Verfahren

Die FVA-Workbench stellt die weltweit umfangreichste Bibliothek an Normverfahren zur Tragfähigkeitsberechnung von Stirnrädern zur Verfügung. Neben den aktuellsten internationalen und nationalen Normen, wie ISO 6336, DIN 3990 und AGMA 2101, umfasst die Bibliothek auch Berechnungsvorschriften aller wichtigen Klassifikationsgesellschaften, die Berechnung von Kunststoffzahnrädern nach VDI 2736 sowie alle älteren Versionen der genannten Normen.

Der Tragfähigkeitsberechnung geht immer eine Abwälzsimulation mit einem oder zwei Werkzeugen zur Bestimmung der Zahnradgeometrie voraus. Damit wird sichergestellt, dass immer ein lauffähiges und herstellbares Getriebe betrachtet wird.

Neben der Geometrie und dem verwendeten Werkstoff hat die Lastverteilung im Zahneingriff einen wesentlichen Einfluss auf die Tragfähigkeit einer Stirnradverzahnung. In der Normberechnungen wird der Einfluss einer ungleichmäßigen Breitenlastverteilung über den Breitenfaktor K (DIN 3990 und ISO 6336) bzw. KH (AGMA 2101) berücksichtigt. Dabei liefern die in den Normen enthaltenen Formeln nur eine sehr grobe Abschätzung. Um die auf die Breitenlastverteilung wirksamen Einflüsse auch quantitativ bewerten zu können, ist eine detaillierte Verformungsanalyse des Getriebegesamtsystems notwendig.

In der FVA-Workbench wird die Gesamtgetriebeverformung auf Basis des an der FZG (Lehrstuhl für Maschinenelemente der TU München) für die FVA entwickelten und an Hand von Verformungsmessungen validierten Berechnungsverfahrens durchgeführt. Dabei können unter anderem folgende elastischen Verformungen und statischen Verlagerungen berücksichtigt werden:

  • Verzahnungssteifigkeit
  • Flankenkorrekturen
  • Wellenbiegung und -torsion
  • Durchsenkungen und Spiele von Wälz- und Gleitlagern
  • Gehäuseverformungen
  • Fertigungsabweichungen

Die Verformungsanalyse kann in der FVA-Workbench in wenigen Sekunden durchgeführt werden, auch bei komplexen Getriebestrukturen. Der Breitenfaktor wird dabei für jede Stirnradstufe automatisch ermittelt und in der gewählten Tragfähigkeitsberechnung berücksichtigt.

Als Beispiel kann die Berechnung der Breitenlastverteilung einer Planetenstufe (Abbildung 1) herangezogen werden. Berechnet man die Breitenlastverteilung in dieser Stufe nur auf Basis der Torsion des Sonnenritzels, wie in einer vereinfachten Berechnung nach Norm, ergibt sich in diesem Beispiel ein Breitenfaktor von K = 1.83 mit einer Maximalbelastung an der Abtriebsseite der Sonnenritzelverzahnung (Abbildung 2a). Berücksichtigt man zusätzlich die Verkippung der Planetenräder durch die Verformung und das Spiel der Planetenlager sowie die elastische Verformung des Planetenträgers einschließlich der Bolzenverformung, ergibt sich ein Breitenfaktor von K = 1,65 wobei hier die maximale Belastung am entgegengesetzten Ende der Verzahnung liegt (Abbildung 2b).

Dieses Beispiel zeigt, dass eine vereinfachte Betrachtung der Getriebeverformungen in der Praxis zu einer falschen Korrekturauslegung und in der Folge zu einseitigen Flankenschäden führen kann (Abbildung 3).
Durch die detaillierte Verformungsberechnung im Gesamtsystem ermöglicht die FVA-Workbench eine genauere Berechnung der Tragfähigkeit und eine praxisgerechte Optimierung der Breitenkorrekturen. Damit lassen sich nicht nur Schäden verhindern, sondern auch versteckte Tragfähigkeitsreserven erkennen. Über eine Verringerung der Bauteilgröße und dem damit verbundenen reduzierten Ressourceneinsatz können so Kosteneinsparungen erzielt werden. Während der Einfluss einer ungleichmäßigen Breitenlastverteilung, wie oben beschrieben, über den Breitenfaktor Kin der Normtragfähigkeitsberechnung bewertet werden kann, ist eine über der Zahnhöhe ungleichmäßige Lastverteilung nicht detailliert darstellbar.

Folgende Einflüsse führen im Zahnfußbereich der Flanke zu einer erhöhten Flankenpressung:

  • Kantenspannung im Eingriffsbereich der Zahnkopfkante bei Schrägverzahnungen
  • Lastspitzen durch kurze Berührlinien Im Eingriffsbeginn und -ende bei Schrägverzahnungen
  • Geringe Krümmungsradien im Ritzelfuß bei großen Zähnezahlverhältnissen
  • Geringe Krümmungsradien eine Zahneingriff in der Nähe des Grundkreises

Die Normverfahren gehen daher von einer praxistauglichen Profilkorrektur aus. Lediglich in ISO 6336 (2019) führt der neu eingeführte Faktor fZCa bei Schrägverzahnungen zu einer ansatzweisen, qualitativen Berücksichtigung einer nicht vorhanden bzw. nicht optimierten Profilkorrektur.

Mit der FVA-Workbench hingegen kann der Einfluss einer ungleichmäßigen Last- und Pressungsverteilung über der Zahnhöhe bei der Konstruktion einer Verzahnung genauer untersucht werden. Dazu wird für jeden Punkt der Flanke die lokale Belastung berechnet. Auch hier wird auf bewährte Berechnungsverfahren aus /1/ zurückgegriffen, bei der die lokalen Zahnsteifigkeiten auf analytischer Basis an Hand eines Plattenmodelles berechnet werden. Dieser analytische Ansatz erlaubt eine sehr hohe Auflösung bei gleichzeitig geringer Berechnungsdauer. Daneben bietet die FVA-Workbench einen FE-basierten Ansatz, der im FVA-Vorhaben FVA 128 ff am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen entwickelt wurde. Die so ermittelte lokale Lastverteilung bildet die Grundlage für weitere lokale Beanspruchungsgrößen:

  • Lokale Flankenpressung
  • Lokale Zahnfußspannung
  • Lokale Gleitgeschwindigkeit und Schmierfilmdicke
  • Lokale Kontakttemperatur
  • Lokale Graufleckensicherheit

In Abbildung 4 sind beispielhaft mit der FVA-Workbench berechnete Pressungsverteilungen einer Schrägverzahnung mit Zähnezahlverhältnis 4, mit und ohne Profilkorrektur, gegenübergestellt. Es ist zu erkennen, dass die lokale Pressung zunimmt, wenn der Ersatzkrümmungsradius zum Zahnfuß des Ritzels hin abnimmt. Zusammen mit den gleichzeitig auftretenden Kantenspannungen im Kontaktbereich der Gegenradkopfkante führt dies zu sehr hohen lokalen Druckspitzen, die eine Profilkorrektur notwendig machen. Die erforderlichen Profilkorrekturen können mit der FVA-Workbench einfach gestaltet werden, was zu einer gleichmäßigen Pressungsverteilung und damit zu einer gleichmäßigen Ausnutzung des eingesetzten Materials über die Zahnflanke führt (Abbildung 4b).  Auf diese Weise lassen Schäden wie die in Abbildung 5 gezeigten dreiecksförmige Flankenabplatzer, die aus diesen lokal überlasteten Bereichen im Eingriffsbereich der Gegenradkopfkante entstehen, zuverlässig verhindern.