Berücksichtigung von Lastkollektiven bei der Getriebeauslegung

Um ein Getriebe optimal und anforderungsgerecht auslegen zu können, ist es notwendig, Lastkollektiven bereits bei der virtuellen Grundauslegung eines Getriebes unter möglichst realen Bedingungen zu berücksichtigen. Nur so kann sichergestellt werden, dass möglichst alle Komponenten gleichmäßig ausgelastet werden, wodurch eine unnötige Überdimensionierung der Bauteile vermieden wird.

Mit dem optimierten Design werden Ressourcen und Kosten geschont und die CO2-Bilanz verbessert – ein Aspekt, der in der heutigen Zeit immer bedeutsamer wird und einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellt. Eine weitere wichtige Aufgabe von Lastkollektivberechnungen umfasst die Notwendigkeit, komplexe, zeit- und kostenintensive Versuche zu ersetzen und vereinfacht schädigungsäquivalent auf Prüfständen abzubilden.

ABBILDUNG 1: Beispielanwendung – Übertragung von Fahrversuchen auf den Prüfstand

Lastkollektive erstellen

Die FVA-Workbench bietet umfangreiche Möglichkeiten zur Erstellung eines Lastkollektivs. Dabei können die Laststufen (Drehzahl, Drehmoment, Häufigkeit) manuell eingegeben werden oder beispielsweise direkt aus einer csv-Datei eingelesen werden.

Wenn kein Lastkollektiv bekannt ist, lässt sich für prinzipielle Untersuchungen und Vorauslegungen auch ein synthetisches Lastkollektiv erstellen. Zudem gibt es noch eine Vielzahl anderer Möglichkeiten zur Ermittlung eines Kollektivs, z.B. aus Messdaten durch eine ein- oder mehrparametrische Verweildauerzählung oder der Erstellung einer Rainflow-Matrix. Speziell für Prüfstandsversuche bietet sich auch die Option der Versuchszeitreduktion durch Omission (Weglassen) und Truncation (Abschneiden) bei weitestgehend gleicher Schädigung und Schadensform. Die Verfahren basieren auf den Forschungsergebnissen der FVA Projektreihe 485 (LDA+).

 

ABBILDUNG 2: Erstellung und Bearbeitung von Lastkollektiven in der Globalen Datenbank

Berechnungsmöglichkeiten

In der FVA-Workbench können Lastkollektive bei der Gesamtsystemberechnung für die folgenden Komponenten und Berechnungen berücksichtigt werden:

  • Bei Stirnrädern kann die Tragfähigkeit an Flanke und Fuß in Abhängigkeit der Lastkollektive nach ISO 6336:Teil6:2006 & 2019 ermittelt werden. Berechnet wird die Kollektivsicherheit nach Miner, die statische Sicherheit, die Dauersicherheit und die maximal zulässige skalierte Gesamtlastwechselzahl. Zudem kann die Verzahnungsanregung nach FVA 338 I:2001 über der Last berechnet werden, sprich z.B. Drehwegabweichungen und Anregungspegel.
  • Bei Kegelrädern steht ebenfalls die Tragfähigkeit an Flanke und Fuß nach ISO 10300:2014 oder nach ANSI/AGMA 2003-C10 im Fokus. Ferner werden auch Kollektivsicherheiten gegen Fressschäden und Grübchen ermittelt, sodass der jeweilige kritische Schadensfall lokal aufgelöst über der Zahnflanke dargestellt werden kann.

ABBILDUNG 3: Akkumulierte Schädigung an Flanke und Fuß

 

Für die Wälzlager wird die akkumulierte Lebensdauer nach ISO 281:2007, SKF:2018, SCHAEFFLER:2018 oder TIMKEN:2011 berechnet. An den Wellen werden bei der Berechnung der Sicherheiten der Kerbstellen nach FKM:2012 ebenfalls Lastkollektive berücksichtigt. So entsteht ein Überblick über den Einfluss des Lastkollektivs auf alle wichtigen Hauptkomponenten eines Getriebes.

Ergebnisausgabe

Für die Ergebnisausgabe stehen umfangreiche Berichtsvorlagen mit vorgefertigten Tabellen und Grafiken zur Verfügung. Es gibt Grafikausgaben der Spannungskollektive für Stirnrädern und Kegelrädern, jeweils für Flanke und Fuß sowie für linke und rechte Zahnflanke. In der Abbildung 4 ist in grüner Farbe das berechnete Spannungskollektiv dargestellt, für das die Kollektivsicherheit, die Schädigung und die statische Sicherheit berechnet wurden. Rot dargestellt ist das durch die Last oder Spannungen skalierte Kollektiv, das maximal bis zu einer Schädigungssumme von 1 zulässig ist. Diese Berechnung ist hilfreich, wenn festgestellt werden soll, um wie viel die Last noch erhöht werden darf, bevor ein Schaden eintritt.

 

ABBILDUNG 4: Spannungskollektive für die linke Zahnflanke und Zahnfuß mit den akkumulierten Sicherheiten

Berechnungsbeispiel

Am Beispiel eines manuellen Schaltgetriebes wird der Einfluss unterschiedlicher Lastkollektive auf die Sicherheit der Zahnräder für Flanke und Fuß nach ISO 6336 gezeigt.

Im Abbildung 5 wird im Speziellen die Endübersetzung am Differential betrachtet, auf die bei der Auslegung ein besonderes Augenmerk gelegt werden muss. Diese Stirnradstufe wird in sämtlichen Gängen vielseitig beansprucht, sei es im 1. Gang durch sehr hohe Lasten bei vergleichsweise niedrigen Drehzahlen und Laufzeiten oder im 6. Gang bei geringen Lasten und sehr hohen Drehzahlen und langen Laufzeiten. Hinzu kommt die Besonderheit des Rückwärtsganges, der die rückwärtige Zahnflanke belastet.

Das führt zu einem Zielkonflikt bei der Auslegung der Makrogeometrie zwischen Flanken- und Fußtragfähigkeit und bei der Mikrogeometrie bei der Auslegung der Schrägungswinkelkorrektur für ein zentriertes Tragbild für die unterschiedlichen Betriebspunkte.

ABBILDUNG 5: ISO 6336 Ergebnisse an einem manuellen Schaltgetriebe für den 1.-, 6.- und Rückwärtsgang

 

Die hier gezeigten Ergebnisse umfassen nur die genannten Gänge und Lastfälle, um deren Auswirkung auf die Endübersetzung besser darzustellen. Am Ringrad auf der rechten Flanke sind die unterschiedlichen Belastungen des 1. und 6. Ganges zu sehen, auf der linken Flanke die des Rückwärtsgangs.

Eine vollständig definierte Berechnung dieses Getriebes würde 6 Gänge plus Rückwärtsgang umfassen, im Zuglastfall beim Antrieb des Fahrzeugs und im Schublastfall bei Verzögerung des Fahrzeugs. Bei 50 Lastfällen pro Lastkollektiv ergeben sich somit (6+1)*2*50 = 700 Einzelrechnungen.

Mit nur einer Berechnung lassen sich so alle Belastungen auf die Komponenten des Getriebes berechnen.

Fazit

Mit Hilfe der FVA-Workbench lässt sich der Einfluss unterschiedlicher Lastkollektive auf die Sicherheiten der wichtigsten Komponenten im Getriebe einfach, komfortabel und schnell untersuchen. Zudem werden umfangreiche Methoden angeboten, um Lastkollektive zu erstellen oder zu bearbeiten.

Referenzen

[1] FVA-Vorhaben 485 I bis VI - Lebensdauerberechnung für Komponenten (Unterprogramm LDA+)

[2] FVA Video Tutorial - Berechnung von Lastkollektiven mit der FVA-Workbench,
https://www.fva-service.de/de/software/tutorials/

[3] FVA KnowledgeBase - Lastkollektive
https://doc.fva-service.de/70/knowledgebase/de/lastkollektive.html