Präzise Schädigungsprognose für Kegelräder über der Gebrauchsdauer

Berechnungsmethoden für Kegelrad- und Hypoidverzahnungen in der FVA-Workbench

Schiffsgetriebe, Bahntechnik, Automobilindustrie, Luftfahrt: Kegelrad- und Hypoidverzahnungen werden in verschiedensten Industrie­anwendungen eingesetzt. Gemeinsam ist diesen Einsatzgebieten die Richtungsänderung des Leistungsflusses. So breit wie die Anwendungsfälle gefächert sind, so unterschiedlich sind die Anforderungen an die Auslegung und damit an die Berechnungsmethoden. Letztere reichen von der Normberechnung mit nur wenigen Eingabegrößen bis hin zur lokalen Tragfähigkeitsberechnung unter Beachtung des Verzahnungsumfeldes und des zu erwartenden Lastkollektives.

Für die Berechnungsverfahren nach Norm und denen von Klassifizierungsgesellschaften sind als Eingabegrößen lediglich die Makrogeometrie der Kegelradverzahnung, die Betriebsbedingungen, bestehend aus Drehzahl, Drehmoment und Betriebsart sowie Werkstoff- und Schmierstoffangaben erforderlich. Grundlage dieser Tragfähigkeitsnachweise bildet eine geeignete Umrechnung der Kegelradgeometrie auf eine Ersatz-Stirnradverzahnung, die die Eingriffsverhältnisse der zu berechnenden Kegelrad­verzahnung näherungsweise nachbilden. Als Ergebnis werden Sicherheitsfaktoren geliefert, die Aussagen über die Tragfähigkeit der Verzahnung bei der vorgegebenen Belastung ermöglichen.

Innerhalb der FVA-Workbench stehen alle maßgeblichen Normtragfähigkeiten in der aktuellen und in historischen Fassungen zur Verfügung. Zusätzlich lassen sich Verfahren anwenden, die in der FVA entwickelt wurden und normativen Charakter tragen (z.B. FVA 411, Forschungsvorhaben „Hypoidtragfähigkeit“, FZG der TU München, Prof. Dr. Karsten Stahl). Darüber hinaus sind Rules der Marineklassifikationsgesellschaften zur einfachen Anwendung hinterlegt.

Diese Normberechnungsverfahren können die komplexen Eingriffsverhältnisse der Kegelrad­verzahnungen nur näherungsweise beschreiben. So wird die Mikrogeometrie, die unter anderem die Flankenmodifikationen an der Nutzflanke umfasst, nur ungenügend oder gar nicht in die Berechnung einbezogen. Ebenso können die Relativlagen­abweichungen bei diesen Verfahren nicht direkt berücksichtigt werden. Auf Grund der Verlagerungsempfindlichkeit von Kegelradverzahnungen spielt aber die Tragbildgestalt, die unmittelbar aus der Mikrogeometrie resultiert, eine entscheidende Rolle. Dafür bieten die lokalen Verfahren zur Kegelradberechnung in der FVA-Workbench entscheidende Unterstützung.

Die dafür notwendige Sollgeometrie der Verzahnung wird über eine Fertigungssimulation ermittelt. Alle dazu notwendigen Daten wie Grundgeometrie, Maschineneinstelldaten, Werkzeugdaten und Kinematik einschließlich Zusatzbewegungen werden aus herstellerspezifischen Schnittstellen (z. B. KIMoS-Neutraldaten) übernommen und auf die universelle Kegelradverzahnmaschine umgerechnet. Die Zahnflanken einschließlich des Zahnfußbereiches werden punktweise simuliert und über Ausgleichsflächen mathematisch geschlossen abgebildet. Dadurch, dass alle Fertigungsinformationen in die simulierten Verzahnungspunkte einfließen, wird die Soll-Mikrogeometrie einschließlich der Krümmungsverhältnisse von den über Ausgleichsflächen modellierten Zahnflanken abgebildet. In der Zahnkontaktsimulation werden die so berechneten Zahnflanken in Eingriff gebracht und abgewälzt.

Bei der Betrachtung der Kegelradstufe im Gesamtsystem fließen neben der bestimmten Sollgeometrie, Betriebsbedingungen, Einbaumaße und belastungsabhängigen Verlagerungen sowie ergänzende Geometriebeschreibungen der Radkörper in die komplexe Zahnkontaktsimulation und damit auch in alle darauf aufbauende Berechnungsschritte ein.

Lastfreie Zahnkontaktsimulation: Die Ergebnisse der lastfreien Zahnkontaktsimulation – aus der Ease-Off- und Tragbildberechnung sowie der optionalen Berechnung von Verdrehflankenspiel und Ziehbarkeit des Kegelritzels – bilden die Grundlage für alle nachfolgenden weitergehenden Berechnungen und beinhalten wichtige Aussagen zur Wirksamkeit der Mikrogeometrieauslegung (Ease-Off) auf Verlagerungsverhalten und Eingriffsstörungen (Größe und Lage des Tragbildes).

Örtliche Beanspruchungsrechnung: Aufbauend auf diesen Ergebnissen erfolgt die Beanspruchungs­berechnung auf Grundlage der Einfluss­zahlen­methode, einem numerischen Berechnungsverfahren, mit dem Last- und Spannungs­verteilungen an diskreten Stellen effizient berechnet werden kann. Standardmäßig wird die Steifigkeit des Radkörpers durch einen elastischen Halbraum angenähert. Mit der FVA-Workbench ist es optional möglich, explizit einen Radkörper und dessen Einspannung als komplexe Radkörpergeometrie vorzugeben. Radkörper können einfach als CAD-Geometrie geladen, positioniert und in der FVA-Workbench vernetzt werden. Die Berechnung der Einflusszahlen erfolgt dann unter Berücksichtigung des vorgegebenen Radkörpers nach FVA 223 XVI (Forschungsvorhaben „BECAL-Radkörper“, IMM der TU Dresden, Prof. Dr. Berthold Schlecht). Als Ergebnis erhält der Anwender örtlich aufgelöst die Last- und Pressungsverteilung sowie die lokalen Gleit­geschwindig­keiten. Daraus wird ein resultierender Wirkungsgrad für die betrachtete Stufe und aus der berechneten Geometrie und der Kontaktbeschreibung der Verzahnungs­steifigkeitsverlauf über den Eingriffs­stellungen und die Wälzabweichung bestimmt. Die Wälz­abweichungen sind ein Maß für das Laufverhalten der Verzahnung in einem Betriebspunkt.

Das Leerlauftragbild ist in der Montage die maßgebliche Größe, mit welcher die Kegelradstufe eingestellt und die Kegelräder zueinander ausgerichtet werden. Um das Tragbild mit der Berechnung vergleichen zu können, wurde im Forschungsvorhaben FVA 223 XV (Forschungsvorhaben „Tragbildvermessung“, IMM der TU Dresden, Prof. Dr. Berthold Schlecht) eine Richtlinie entwickelt, wie Tragbilder charakterisiert und vermessen werden können. Gleichzeitig wurde die Kegelradberechnung dahingehend erweitert, dass die relative Lage der Tragbilder ausgegeben wird. In den durchgeführten Versuchen wurde im Forschungsvorhaben gezeigt, dass die Leerlauf- und Lasttragbilder in der FVA-Workbench sehr gut mit den tatsächlichen Tragbildern zusammenpassen. Damit hat der Nutzer ein mächtiges Werkzeug an der Hand, um die Tragbilder der Kegelräder einzustellen. Die Ausgabe im Report der FVA-Workbench ist beispielhaft in Abbildung 1 enthalten.

Berechnungsbeispiel

Örtliche Tragfähigkeitsrechnung: Über die Pressungen im Kontakt lässt sich die Materialanstrengung ableiten und auf eine Grübchensicherheit umrechnen. Die Sicherheiten werden analog zu den standardisierten Berechnungsverfahren durchgeführt, dementsprechend werden die gleichen Festigkeitskennwerte verwendet. Entwickelt und validiert wurden die örtlichen Tragfähigkeiten gegen Materialermüdung im Forschungsvorhaben FVA 411. Die örtliche Graufleckensicherheit wurde im Forschungsvorhaben FVA 516 (Forschungsvorhaben „Hypoidgraufleckigkeit“, FZG der TU München, Prof. Dr. Karsten Stahl) untersucht. Im Gegensatz zu Schäden infolge Werkstoffermüdung werden die Sicherheiten gegen Grübchen nach FVA 411 (siehe Abbildung 2) und Grauflecken nach FVA 516 auf der Zahnflanke sowie die Sicherheit gegen Zahnfußbruch nach ISO 10300 berechnet sowie infolge überhöhter Kontakt­temperatur die Sicherheit gegen Fressen nach FVA 519 (Forschungsvorhaben „Hypoidfressen“, FZG der TU München, Prof. Dr. Karsten Stahl).

Von besonderem Interesse ist die örtliche Tragfähigkeit in Verbindung mit der Gesamtsystem­berechnung. Die Gesamtsystemberechnung betrachtet in der FVA-Workbench die Steifigkeit aller Komponenten im Getriebe und berechnet daraus die auftretenden Deformationen. Aus der Wellenbiegelinie werden die relativen Verlagerungen der Kegelradstufe berechnet und automatisch berücksichtigt. So können Kegelradstufen sehr einfach und unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Einflüsse berechnet und bewertet werden.  

Örtliche Schadensakkumulation im Lastkollektiv: Mit einer lokalen Schadens­akkumulations­rechnung können die realen sich während der Betriebsdauer ändernden Belastungsverhältnisse bei der Zahnkontaktsimulation und anschließenden örtlichen Tragfähigkeitsberechnung berücksichtigt werden. Auf diese Weise erhält der Nutzer einen ersten Anhaltspunkt über den Ort der größten Schädigung und damit des Bereiches, an dem Grübchenschäden bzw. Zahnfußschäden mit großer Wahrscheinlich­keit auftreten sowie eine Einschätzung der Höhe der Ermüdung.

Zusätzlich zu den eben beschriebenen lokalen Verfahren, die im Gesamtsystem eingebettet sind, besteht die Möglichkeit, eine Kegelradverzahnung als Einzelstufe zu betrachten. Hier stehen neben den oben beschriebenen noch weitere Berechnungsoptionen, wie die Variationsrechnung und die Schadenssimulation als Analysewerkzeuge zur Verfügung. Bei der Einzelstufenberechnung ist zu beachten, dass die Relativlagen sowie Betriebsbedingungen hier unabhängig vom Gesamtsystem vom Nutzer selbst vorzugeben sind.

Variationsrechnung: Eine spezifische Eigenschaft von Kegelradverzahnungen ist die Verlagerungs­empfindlichkeit, d.h. die Veränderung der Tragbildlage und -größe bei Relativlageänderungen. Die automatische Variation von Drehmoment und Drehzahl verbunden mit belastungsabhängigen Relativlageabweichungen gibt einen schnellen Überblick über die sich ändernden lokalen Beanspruchungen und Sicherheitsfaktoren. Die Einzelergebnisse werden dazu in grafischen Darstellungen zusammengestellt und erleichtern so deren Bewertung.

Örtliche Schädigungssimulation: In Erweiterung zur üblichen örtlichen Tragfähigkeitsrechnung steht die Umsetzung des Forschungsvorhabens FVA 223 XII zur örtlichen Schädigungssimulation (FVA 223 XII, Forschungsvorhaben „Schädigungsfortschritt“, IMM der TU Dresden, Prof. Dr. Berthold Schlecht)  auf der Zahnflanke zur Verfügung. Die Simulation von Grauflecken- und Grübchenwachstum basiert auf der Ermittlung der Tragfähigkeit, der daraus berechneten Schädigungssumme und der Bestimmung der resultierenden Flankenformänderung. Da während der Simulation die Schädigung durch eine sich stetig verändernde Flankenform einbezogen wird, können sowohl die Wechselwirkungen zwischen den Schädigungsarten Grauflecken und Grübchen wie auch der Einfluss der Schädigung auf die Flankentragfähigkeit abgebildet werden.      
Die Berechnung der örtlichen Schadenssimulation entspricht dem aktuellen Stand der Forschung und die Validierung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Der aktuelle Stand liefert aber schon jetzt vielversprechende Ergebnisse.